Bild von Chris Martin auf Pixabay

Auf die „ungeistige Dimension ‚Körper‘“ verwies ich in meinem Beitrag Ausgeglichenheit in Abschlussphasen. Doch wie können wir uns dieser Dimension gerade in Stressphasen mit hohem Schreibtischanteil und zugleich fehlenden Gruppenangeboten gut nähern? Julian Varnholt, Psychologe und Trainer, gibt uns dazu praxisnahe Hinweise.

In meinem Alltag als Trainer, Freizeitsportler oder Trainingspartner folge ich einigen Grundregeln für Sport und Bewegung. An manchen Tagen bin ich selbst die Person, der ich sie predige, um aus ihnen die richtige Motivation zu schöpfen. Da ich aus solchen Situationen gelernt habe, wie schwer es sein kann, sich für Sport und Bewegung zu entscheiden, statt sich der Bequemlichkeit hinzugeben, möchte ich Dir hier mein Grundgerüst für meine körperliche Aktivität vermitteln. Das Gerüst funktioniert für mich gut, doch es wird nicht zu 100 Prozent zu Dir passen – ich hoffe, Du kannst mindestens eine für Dich neue Idee finden und nutzen.

1. Leben ist Bewegung, Bewegung ist Balsam

Natürlich leben wir, und wir bewegen uns ja meistens, irgendwie, und Balsam soll bedeuten, dass Bewegung gut tut. Betrachtest Du jedoch die morbide Kehrseite der Aussage, so nimmt sie bei Dir möglicherweise eine emotionalere Rolle ein. Für unsere Mental Health kann es eine Bereicherung sein, uns unserer Mortalität und Verletzbarkeit bewusst zu werden. Denken wir an das Leben, denken wir an Bewegung und Freiheit. Denken wir an den Tod, so assoziieren wir ihn mit Bewegungslosigkeit, Stillstand. Diese Bewegungslosigkeit kann uns auch schon während unserer Lebzeiten einholen. Fehlt nämlich die Bewegung, der Balsam für den Körper, werden Schmerzen mit hoher Wahrscheinlichkeit unsere ständigen Begleiterinnen sein. Nicht nur diese Wahrheit ist schmerzhaft, sondern auch das Ignorieren derselben.

Durch Bewegung bewahren wir unseren Körper vor vielen Schmerzen, die uns unsere Energie rauben. Diese gewonnene Energie wirkt sich positiv auf unsere mentale Gesundheit aus.

2. Trainiere regelmäßig und abwechslungsreich

Routinen geben uns Struktur, und Veränderung gibt uns neue Reize. Gerade Aktivitäten wie Sport, die im Hier und Jetzt mehr Kraft und Aufwand kosten als unser Gegenwarts-Ich es gerne hätte, profitieren von Routine und Gewohnheit. „Jeden Abend eine halbe Stunde spazieren gehen“ oder „Jeden Morgen 15 Minuten Yoga“ sind Gewohnheiten, die sich mit etwas mentalem Widerstand einführen lassen und mit der Zeit einfacher werden. Kleine positive Veränderungen in unseren Gewohnheiten zahlen sich auf lange Zeit wie Zinseszins aus. Positive Veränderungen zu sehen und zu spüren wirkt sich ebenso positiv auf unser Gemüt aus. Zudem gewinnen wir auch an Selbstwert, wenn wir uns dabei beobachten, dass wir uns an unsere guten Vorsätze halten und uns auf uns selbst verlassen können. So können wir uns selbst besser verzeihen, wenn wir es an einem Tag mal nicht geschafft haben, uns daran zu halten. Dein Zukunfts-Ich wird dir dankbar sein.

Damit uns nicht langweilig wird und wir nicht in Automatismen verfallen, benötigen wir neben der Routine auch Abwechslung. Wir haben viele Möglichkeiten, unsere Routinen zu gestalten. Wir können den täglichen Spaziergang in der Nachbarschaft in einen nahegelegenen Wald oder Park verlegen oder den Spaziergang durch eine kleine Radtour ersetzen. Beim morgendlichen Yoga können die Abfolge der Übungen verändert werden oder stattdessen Kräftigungsübungen mit dem eigenen Körpergewicht durchgeführt werden. Nur unsere Kreativität setzt uns Grenzen. Durch Veränderung setzen wir neue Reize, die unser Gehirn so gerne hat und uns dafür mit Glückshormonen belohnt.

3. Trainiere gleichermaßen Kraft, Geschwindigkeit, Beweglichkeit, Koordination und Ausdauer

Mit Abwechslung kommen wir auch hier an einen Grundsatz, den sogar die Leistungssportler der vergangenen Jahrzehnte häufig außer Acht gelassen haben. Wenn Du einen gesunden Körper haben möchtest, der nicht auf eine Disziplin spezialisiert werden soll, zielst Du darauf ab, alle oben genannten Kategorien im Gleichgewicht zu haben. Wie Du das machst, ist ein umfangreiches Thema, wozu im Internet viele Ressourcen zu finden sind. Zudem gibt es Trainer wie mich, die Dich in solchen Themen gerne beraten und betreuen.

Wenn Ihr hier angekommen seid, könnt ihr auch direkt das Deutsche Sportabzeichen machen. Quasi als Zwischenurkunde auf dem Weg zur Promotion. Zur Belohnung gibt es Brotgelehrte-Schokolade. 🙂 In unseren Workshops und Beratungen könnt Ihr die geistige mit der körperlichen Fitness verbinden.

4. Erhöhe stetig deine tägliche körperliche Aktivität (in Dauer oder Intensität)

Der menschliche Körper ist unglaublich anpassungsfähig. Gib ihm einen Reiz und er passt sich diesem an, sodass der Körper effizienter agieren kann, wenn der Reiz erneut kommt. So ist es auch mit deinem Bewegungsapparat. Bei deiner ersten Radtour hast Du am nächsten Abend möglicherweise einen Muskelkater in den Oberschenkeln. Fünf Radtouren später wunderst Du Dich, wieso Du am nächsten Tag keine Schmerzen beim Treppensteigen hast. Du und Dein Körper haben sich an die Radtour gewöhnt und nun grübelst Du, ob die nächste Radtour noch etwas länger oder schneller sein darf. Je fitter Du wirst, umso mehr Energie wirst Du haben und umso mehr willst Du Dich bewegen, auch im Alltag. Auch hier greift das Prinzip des Zinseszinses. Je mehr Du Dich bewegst, umso mehr willst Du Dich auch bewegen (bis zu einem gewissen Punkt).

Jaja, we practice what we preach. Und glauben unerschütterlich an den versprochenen Zinseszins.

5. Benutze dein eigenes Körpergewicht beim Training

Wenn Du trainieren möchtest, möchtest Du es einfach haben; keine teuren Maschinen, keine komplizierten Geräte und keine Abhängigkeit von Öffnung oder Schließung der Sportstätten. Unser Körper ist ganz gut darin, sich selbst durch den Raum zu bewegen ohne Verletzungen zu erfahren. Nutzen wir ihn als mobiles Trainingsgerät, das wir immer und überall zur Verfügung haben. Möchtest Du deine Beine trainieren? Mache Kniebeuge und Ausfallschritte! Möchtest Du deine Arme trainieren? Mache Liegestütz! Möchtest Du Deinen unteren Rücken trainieren? Lege Dich auf den Bauch und hebe Arme und Beine wiederholt vom Boden ab! Probiere Dich aus, bewege Deinen Körper spielerisch im Raum und begib Dich in ungewohnte Positionen und Haltungen. Zu wissen, dass Dein Körper sich kompetent im Raum bewegen kann, schenkt uns das Gefühl der Selbstwirksamkeit und Selbstsicherheit, die wiederum unsere mentale Gesundheit fördert. Falls Du vorgegebene Übungen bevorzugst, gibt es für das Training mit dem eigenen Körpergewicht auch wieder Ressourcen im Internet oder bei Trainern zu finden.

Lesepause.

Ein bisschen Katzencontent schadet auch nicht, findet die Redakteurin.

Fühl Dich aufgefordert, einen dieser Ratschläge jetzt in die Tat umzusetzen. Ich wünsche Dir dabei viel Spaß und Erfolg!

Dieser Artikel erschien zuerst in der THESE 114 (2021).

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