Aus dem Workshop gefragt: „Sollte ich besser zusätzlich einen BA in Informatik machen?“

Zunächst zwei vielleicht entlastende Befunde:

Die digitale Bildung findet aktuell überwiegend im Rahmen von Weiterbildungen (und autodidaktisch) statt. Wir können davon ausgehen,

  • dass in Studium (und Ausbildung) überwiegend fachbezogen gelernt wird,
  • dass in der beruflichen Praxis überwiegen tätigkeitsbezogen gearbeitet wird,
  • dass digitale Kompetenzen überwiegend in Fort- und Weiterbildungen und im Selbststudium ausgebildet werden.[1]

Daraus folgt, dass diese Fort- und Weiterbildungen keine grundsätzliche Defizitkompensationen sind, etwa, weil im Studium die digitale Bildung vernachlässigt worden sind, sondern dass sie einen (inzwischen) üblichen Baustein im lebenslangen Lernen darstellen, der eingeplant werden kann und muss.

Das wiederum bedeutet, dass die tatsächlichen Anforderungen an digitale Kompetenzen von Absolvent*innen der Geistes- und Sozialwissenschaften nicht losgelöst vom Studium eingefordert werden. Die Ausschreibungen für typische Einstellungspositionen von Geistes- und Sozialwissenschaftler*innen verlangen meist zwei digitale Kompetenzeinheiten:

  1. einen sicheren Umgang mit Hauptprodukten aus MS Office (Word, Excel, PowerPoint, Outlook – MS Office umfasst noch wesentlich mehr Programme, machen Sie vielleicht mal eine Tour am PC und eine fröhliche Öffnen-und-Rumklicken-Stunde in Infopath, Publisher, OneNote usw.),
  2. fach- und tätigkeitsbezogene grundständige Anwendungskenntnisse von ausgewählten Programmen, also ganz schlicht: Bildbearbeitung – Museen, Denkmalpflege, Journalismus; SPSS – Markt- und Meinungsforschung; Datenbanken – Informations-, Bibliotheks- und Archivwesen; CMS – Journalismus, Social-Media- und Content Management. Diese Kompetenzen werden von Einsteiger*innen selten gefordert, aber es ist durchaus sichtbar.

Ich habe bislang nur eine Handvoll an Ausschreibungen für Einstiegsstellen gesehen, die vertiefte Kenntnisse in speziellen Programmen verlangt haben (dies lässt sich auch weiterhin bestätigen, wie wir in unseren eigenen Stellenausschreibungen wöchentlich sehen. Hier geht’s zu unseren Stellenanzeigen: https://brotgelehrte.de/category/regional/.

Das hat auch damit zu tun, dass die Mehrzahl unserer Absolvent*innen nach wie vor in affine Berufe und Beschäftigungsverhältnisse wechselt, und dass diese Einstiegsphasen haben, die konsekutiv sind, d.h. auch organisatorisch auf das Studium folgen. Für diese Einstiegsphasen ist ungefähr bekannt, was Sie aus dem Studium mitbringen, und folglich ist in diesen Einstiegsphasen auch vorgesehen, dass Sie sich mit den berufsfeldspezifischen digitalen Anforderungen auseinandersetzen werden.

Die Erwartungshaltung ist also in der Regel nicht, dass Sie als digital natives alles „können“, was der Computer so bietet. Die Erwartungshaltung ist aber schon, dass Sie sich schnell und selbstständig einarbeiten, falls irgendwo eine Kompetenzlücke sichtbar wird, und dass Sie zwischen funktionalen Anwendungserfahrungen und fachlichen Lösungsaufgaben unterscheiden können.

Zwei Beispiele aus dem Arbeits-Alltag der Brotgelehrten:

Beispiel 1:

Eine Mitarbeiterin soll in Excel Summen bilden und weiß nicht, wie das geht. Ich erwarte, dass sie die Aufgabe mithilfe von Suchmaschinen, Excel-Hilfe, Tutorials und ein bisschen Üben selbst löst. Da Summenbildung zum „sicheren Umgang“ mit Excel gehört, erwarte ich, dass sie diese Lücke außerhalb ihrer Arbeitszeit schließt. Es ist nicht erforderlich, dazu einen Kurs zu belegen oder ein Zertifikat zu erwerben. Sie soll einfach die Aufgabe „Summen bilden“ erledigen können.

Beispiel 2:

Eine Mitarbeiterin soll für ein neues Projekt einen Redaktionsplan für Social Media erstellen. Sie hat noch nie einen Redaktionsplan für Social Media erstellt, und da sie Germanistik studiert hat – und nicht PR oder Journalismus –, gehört dies auch nicht zu ihrem Abschlussprofil. Das wusste ich, als ich sie einstellte. Auch wenn sie zu den digital natives zählt und ein privates facebook-Profil hat, gehe ich nicht davon aus, dass sie professionell Online-Präsenz planen kann. Aber ich gehe davon aus, dass sie grundsätzlich weiß, wie man ein Bild postet und welche rechtlichen Begrenzungen zu berücksichtigen sind.

Also recherchierte ich einen Kurzworkshop Social Media Marketing, 4 Stunden bei der IHK am Standort. Die Kosten für den Workshop übernehme ich als Arbeitgeberin, die 4 Stunden gelten als Arbeitszeit und werden entlohnt.

Natürlich ist das Ergebnis dieses Kurzworkshops nicht, dass der gewünschte Redaktionsplan steht. Die Mitarbeiterin wird weitere Zeit darauf verwenden müssen, das Gelernte auf den Arbeitskontext zu übertragen. Hier wird sie einen bestehenden Redaktionsplan studieren müssen und sich mit anderen darüber austauschen, welche Bestandteile übernommen und welche angepasst werden müssen. Vermutlich wird das weitere zwei bis vier Stunden dauern und diese Zeit wird als Arbeitszeit ebenfalls entlohnt. In der Folge wird die Mitarbeiterin auch für weitere Projekte ohne diesen Weiterbildungsaufwand Redaktionspläne erstellen können. Wenn sie sich auf eine andere Stelle bewirbt, wird sie unter Kompetenzen angeben können: Redaktionspläne für Social Media erstellen. Sie wird diese Kompetenz belegen können mit der Teilnahmebestätigung am IHK-Kurs und – wichtiger – mit Arbeitsproben.

Hätte ich bei der Einstellung vielleicht jemanden vorgezogen, der diesen Kurzworkshop schon zuvor absolviert hat? – Das ist natürlich hypothetisch, aber ich denke: Nein.

Warum?

Die Stelle hat kein umfassendes Social-Media-Profil. Die Tätigkeiten, die die Stelleninhaberin ausüben soll, habe ich zuvor selbst ausgeübt und mir selbst angeeignet. Darum traue ich anderen Hochschulabsolvent*innen zu, dies auch mit hinreichend Ausdauer und Übung zu schaffen. Wichtiger ist mir, dass unsere Kommunikation nicht störanfällig ist. Inhaltliche und technische Fragen können wir auf dieser Grundlage immer rasch lösen. Für Störungen auf zwischenmenschlicher Ebene bräuchten wir deutlich länger und es wäre viel frustrierender – und auch nicht mit Kurzworkshops zu beheben.

Sollen Sie also zusätzlich einen BA in Informatik machen?

Wenn Sie sich nicht für Informatik interessieren und eine übliche Beschäftigung für eine*n Absolvent*in der der Geisteswissenschaften anstreben, gibt es aus meiner Sicht keinen Grund für ein zusätzliches BA-Studium. Sollten Sie sich für Informatik studieren und Ihr berufliches Ziel an der Schnittstelle von Informatik und Geisteswissenschaften liegen, kann das eine Option sein. Wenn Sie das Gefühl haben, Sie wollen sich irgendwie strukturiert in den digitalen Bereich einarbeiten, kann es jedoch eine bessere Option sein, fachnahe und spezialisierte digitale Studienprogramme zu wählen, etwa Angebote aus den digital humanities oder (FH-)Studiengänge zu digitalen Medien.

Teil 2 der Reihe “Digitale Kompetenzen folgt am 04.12.2020!

Ihr wollt mehr wissen und Euer digitales Profil aufbauen? Hier geht’s bald zum Workbook Digitale Perspektiven. Coming soon!


[1] Siehe z.B. „Betriebe, die digitalisieren, investieren auch in die Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden“ (IAB Kurzbericht 26/2018); „Weiterbildung in der Informations- und Kommunikationstechnologie: Jüngere belegen inhaltlich andere Kurse als Ältere“ (IAB Kurzbericht 17/2017); Müller-Naevecke, C.: Wie bildet sich die Weiterbildung? Studie zur Erschließung von Fachinformationen, Bielefeld 2019.

Text von Mareike Menne

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