Im Workshop fragte eine Studentin: “Sollte ich für bessere Berufsaussichten Digital Humanities studieren?

Ich deute diese Frage als Orientierungssuche: Gerade geht viel Richtung digital, das Fachstudium aber hat methodisch und inhaltlich noch nicht immer nachgezogen. Es ist aus Studierendenperspektive mitunter unklar, wo / wie / wann / welche Kompetenzen erworben werden können, und welche davon auf welchen Arbeitsmärkten gesucht werden. Damit wird es schwer, zu entscheiden und ins Handeln zu kommen, um auf Digitalisierung gut zu reagieren und gleichzeitig auch sozial fachnah zu bleiben.
Die Digital Humanities können natürlich eine Option sein; mein Eindruck ist allerdings, dass auch diese Studiengänge auf akademische Transfers ausgerichtet sind. Das ist keine Schwäche, aber für Studierende, die Digital Humanities studieren wollen, um gut für nichtwissenschaftliche Laufbahnen aufgestellt zu sein, etwa in Marketing und Kommunikation, scheint es mir nicht passgenau. Versuchen wir, uns über weitere Fragen zu nähern.

Wo wird ein Abschluss in Digital Humanities formal und exklusiv gefordert?

Bislang nur vereinzelt, etwa bei einem Volontariat mit Schwerpunkt Forschungsdatenmanagement. In den meisten Ausschreibungen sind Alternativen zu diesem Studium angegeben, z.B. Berufspraxis oder andere Formen des Kompetenznachweises. Insofern könnte auch die Variante aus Fachstudium, gezielter Weiterbildung und/oder Projekterfahrung und persönlicher Neigung zum Erfolg führen.

Wo werden Kompetenzen und Wissensbestände aus den Digital Humanities abgerufen?

Überwiegend an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die sich mit Digital Humanities befassen oder Aspekte der Digital Humanities anwenden. Im Wissenschaftsmanagement gibt es Ausschreibungen zur Projektbegleitung oder Referent*innenstellen für digitale Lehre und digitale Kommunikation; beide Anwendungsbereiche würde ich nicht in allen geisteswissenschaftlichen Studienlaufbahnen voraussetzen. Sollten Sie dort gut aufgestellt sein, auch ohne einem Digital-Humanities-Studiengang zu folgen, lohnt sich sicherlich die stellenbezogene Betonung dieser Studieninhalte.
Auf Fachebene sehe ich zwei Varianten: Die Anreicherung klassischer Stellen um digitale Arbeitsweisen einerseits und die Schaffung neuer Stellen mit digitalem Aufgabenschwerpunkt und Profil andererseits.

Welche Berufsaussichten haben Absolvent*innen der Digital Humanities, die andere nicht haben?

Das ist schwer zu prognostizieren und nimmt die komplexen Zusammenhänge bei Berufseinstiegsszenarien nicht in den Blick. Vielleicht folgt es der Dynamik auch anderer „neuer“ Arbeitsbereiche: Je mehr sich die Digital Humanities als Fach etablieren werden, umso mehr werden sie ihr eigenes Personal ausbilden, rekrutieren und Arbeitsbereiche differenzieren.

Welche digitalen Kompetenzen werden aktuell unabhängig vom Abschluss von Hochschulabsolvent*innen gefordert?

Die grundsätzliche Fähigkeit, gängige Kommunikations- und Bürotools zu nutzen, ebenso die üblichen digitalen wissenschaftlichen Arbeitsweisen z.B. in Recherche, Präsentation und Wissensmanagement, die Sie aus dem Studium kennen und dort eingeübt haben. Darüber hinaus sind in den meisten Fällen die digitalen Anforderungen tätigkeitsbezogen und spezialisiert, z.B. Wissen um Computational Methods, Erfahrungen mit OCR/OLR oder Archäoinformatik.
Aus den Stellenbeschreibungen gehen allerdings große Bereiche hervor, für die Sie sich generalistisch weiterbilden könnten oder die Entwicklungen in Fachpublikationen und –blogs verfolgen; die konkrete Anwendung im Beruf kann dann vermutlich rasch adaptieren. Zu diesen großen Bereichen gehören für unsere Fachgruppen u.a.:

  • Arbeit mit/Aufbau und Pflege von Datenbanken und die Umwandlung von haptischen Quellen (Texten, Bildern) in Digitalisate (samt Erschließung, Bestandspflege, Metadaten usw.),
  • E-Learning, digitales Lernen, online-Lehre,
  • digitale Kommunikation.

Trifft das für alle Qualifikationsstufen zu?

Derzeit ist sowohl für digital angereicherte Stellen als auch für digital profilierte Stellen eher zu beobachten, dass Fach- und Führungskräfte gesucht werden und bereits professionelle Erfahrung mit digitaler Lehre, Datenbanken, Medienproduktion, digitaler Kommunikation inkl. Social Media vorliegt. Möglicherweise ist dies ein Wunschszenario der Ausschreibenden; da aktuell rasch umgesetzt werden muss, wären erfahrene Kandidat*innen in der Lage, sofort zu beginnen. Auch soll vielleicht vermieden werden, dass Menschen mit Social-Media-Profil, doch ohne Professionalisierung in diesem Gebiet, sich bereits für hinreichend kompetent halten.
Wie groß das Bewerberfeld allerdings ist, das diese Kriterien erfüllt, kann ich nicht einschätzen. Und damit auch nicht, ob sich eine Bewerbung ohne umfassende Projekterfahrung, sondern z.B. mit der Bereitschaft zur raschen Einarbeitung und Fortbildung, sich nicht doch lohnt.

Bei der Auswertung von aktuellen Ausschreibungen war nicht zu erkennen, dass von Absolvent*innen beim Einstieg umfassende fachspezifische Digitalisierungsexpertise erwartet wird. Hin und wieder tauchten Einstiegsstellen mit ausgewählten Spezialisierungen auf, etwa Bildbearbeitung für einen Kunstverlag oder WordPress für eine Kommunikationsagentur oder Umfrage-Tools für ein Sozialforschungsinstitut. Aber weder war dies die Mehrheit der ausgeschriebenen Stellen, noch forderte eine Ausschreibung das gesamte Spektrum von kulturwissenschaftlichen Digitalisierungspraktiken.

Zurück zur Frage, was getan werden kann, um sich gut vorzubereiten:

  1. Herausfinden, welche Digitalisierungspraktiken und –diskurse in dem Arbeitsgebiet, das Sie anstreben, aktuell gängig sind,
  2. Diesen Diskursen folgen, an ihnen teilnehmen, sich einbringen: Welche Tagungen mit welchen Inhalten gibt es? Welche Publikationen, welche Projekte? Welche Blogs können Sie abonnieren, welchen Gruppen folgen, welche Fachpublikationen wahrnehmen?
  3. Auswählen: Digitalisierung ist ein Querschnittsthema, das unsere Fachdisziplinen und Berufspraktiken erfasst – hierhin gehören Kommunikation, Bürosoftware, wissenschaftliches Arbeiten mit digitalen Tools. Digitalisierung hat darüber hinaus für unsere spezifische Arbeit in einem Fach- und Branchenkontext Fokusthemen, die von Texterkennung über digitale Lehre bis hin zu UX-Design oder Startup-Gründung reichen können. Welches ist Ihr Fokusthema, worin sind Sie gut, was interessiert sie besonders – und inwiefern passt es zum Fokusthema der Branche, in die Sie einsteigen möchten?
  4. Weiterbilden:
    4.1. Stärken identifizieren, stärken und professionalisieren: Was fällt Ihnen leicht, wo arbeiten Sie bereits intuitiv digital, wo erleben Sie sich als sicher und die Arbeit als einigermaßen mühelos? Was interessiert Sie? – Stärken professionalisieren bedeutet tendenziell, sie in der Praxis einzusetzen, zu erproben und weiterentwickeln (ausgewählte Praktika, Projektmitarbeit, Nebentätigkeit, Freiberuflichkeit, eigene Projekte, gezielte – auch fachfremde – Inputveranstaltungen).
    4.2. Schwächen identifizieren, lernen, aufholen: Wo bemerken Sie konkrete Lücken, die Sie im Studium, bei der Jobsuche, in der Erstellung eines professionellen Profils an der Arbeit und am Fortkommen hindern? Wie können Sie sich hier verbessern, um dem Studien- und/oder Branchenstandard zu entsprechen oder sich die Arbeit zu erleichtern? – Schwächen ausgleichen bedeutet tendenziell, dass Sie Wissenslücken füllen, dass Sie trainieren und üben. Dies kann bei Querschnittsthemen durchaus autodidaktisch und selbstgesteuert erfolgen. Oder Sie suchen sich strukturierte Lernangebote, die häufig an den Hochschulen angeboten werden: Bibliotheken, Career Services, Zentren für Schlüsselkompetenzen, Zertifikatskurse, an manchen Hochschulen auch von den Gleichstellungsstellen, den Hochschulgemeinden, studentischen Gruppierungen.

Weiterlesen:

Digitalisierung – wir arbeiten daran. Bald kommt Brotgelehrte 3 – Digitale Perspektiven für Geistes- und Kulturwissenschaftler*innen. Aus gegebenen Anlass aktualisieren wir gerade das Manuskript.

Menü