Sehr geehrte Frau Dobrinski, Sie waren von März 2018 bis gestern die Bundesvorsitzende von THESIS e.V., einem interdisziplinären Netzwerk für Promovierende und Promovierte. Wie kamen Sie zu diesem Verein?

Claudia Dobrinski: Mitglied bin ich seit dem Jahr 2014. Es gab einen direkten Anlass, ich regte mich gerade über hochschulpolitische Entwicklungen auf – und zufällig traf in der Stadt Mareike Menne und wir tauschten uns darüber aus. Dabei erwähnte sie, dass es den Verein Thesis gebe, der sich genau deshalb für die Doktorand*innen in Deutschland stark macht. Ein paar Monate später trat ich dem Verein bei. Eigentlich bin ich nicht so der Vereinsmensch, aber als dann 2015 eine weitere EurodocDelegierte für eine Konferenz in Rumänien gesucht wurde, stellte ich mich erfolgreich zur Wahl (bis heute). Tieferes Verständnis für die Belange und Ziele des Vereins erhielt ich als Redakteurin der Vereinszeitschrift THESE (2016-2018), und ich konnte hier schon schwerpunktmäßig Themen setzen. Das schuf eine solide Grundlage für meine Arbeit als Vereinsvorsitzende.

Sie promovieren in Geschichte. Haben Sie das schon immer angestrebt?

Claudia Dobrinski: Als ich vor langer Zeit mein Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Klassischen Archäologie begann, war es noch üblich, eine sogenannte grundständige Promotion zu machen: ohne vorherigen Abschluss, direkt vom Studium in die Doktorarbeit. Somit war dieses Ziel immer vorhanden. Mein Studium führte mich von Würzburg über Heidelberg nach Münster, meine Nebenfächer änderte ich von Geschichte zu Theologie und schließlich Christlicher Archäologie bzw. byzantinischer Kunstgeschichte. Um eine Doktorarbeit anzumelden, musste man das Große Latinum und Griechischkenntnisse nachweisen. Zwischenzeitlich änderten sich Studienordnungen, es gab Zwischenprüfungen, der Magister wurde Pflicht. Mittlerweile tummelte ich mich v.a. auf Ausgrabungen. Dann kam ein Stipendienangebot für eine archäologische Doktorarbeit – aber vorher musste ich das Studium mit Magister abschließen. So hat sich das Lebensprojekt Doktorarbeit entwickelt. Dass ich nun in Geschichte promoviert werde, hat mit dem Fächerangebot der Universität Paderborn zu tun.

Welche Schwierigkeiten haben Sie in Ihrer bisherigen wissenschaftlichen Laufbahn erlebt? Konnte Ihnen THESIS e.V. bei diesen Schwierigkeiten helfen?

Claudia Dobrinski: Es sind die Schwierigkeiten, die viele erleben, mehr oder weniger stark bzw. in voller Bandbreite. Es gab Probleme mit Professoren genauso wie finanzielle Engpässe. Beispielsweise finde ich das System externer Promotionen nicht unterstützungswert: keine Sozialversicherung und oft keine universitäre Anbindung. Es sind hochschulpolitische Themen, die mich umtreiben.
Noch augenfälliger finde ich die nach wie vor bestehende Hierarchie, die Machtmissbrauch, schlechte Betreuung und schließlich gesundheitliche Schwierigkeiten nach sich ziehen. THESIS bedeutet hier für mich auch ein wichtiger Austausch, damit man erkennt, dass es einem nicht alleine so ergeht, dass man darüber spricht. Wir müssen Machtmissbrauch thematisieren, Schweigen ist systemimmanent.

Welche persönlichen Tipps würden Sie Studierenden geben, die über eine Promotion nachdenken?

Claudia Dobrinski: Es ist ganz wichtig, dass du Spaß an der Sache hast, forschen willst, geduldig und hartnäckig sein kannst.
Will ich das? Halte ich durch?
Hole Erkundigungen von Doktorand*innen ein.
Warum will ich den Titel haben? Weil man den so hat, weil man mehr verdient, weil man in die Forschung möchte?
Und Vorsicht: Oftmals wird einem netterweise eine Promotion angeboten, aber die finanzielle und jobtechnische Seite wird bei diesem Angebot nicht expliziert. Für mich persönlich finde ich es immer wieder wichtig, dass man sich alle paar Monate ehrlich fragt, ob man weiter macht, ob sich der Sinn, die Lebensumstände oder auch die Angebote geändert haben.

Was denken Sie müsste bzw. könnte man tun, um mehr Studierende für eine Promotion bzw. eine wissenschaftliche Laufbahn zu begeistern?

Claudia Dobrinski: Einerseits heißt es, wir brauchen mehr Wissenschaftler*innen, mehr Expert*innen – andererseits sind der Weg und das Arbeitsumfeld steinig und ungewiss; befristete Stellen und die eigene Lebensplanung passen oft nicht in genormte Karrierewege. Während es früher eher hieß, da müsse man durch, Betreuende hätten das selbst schließlich auch durchlebt, gibt es doch mittlerweile vermehrt besser Arbeitsbedingungen für Frauen und Familien in der Wissenschaft, Kurzverträge sind verboten, Graduiertenzentren und Betreuungsverträge werden mehr und mehr zur Norm.
Aber seien wir ehrlich: Die Machtverhältnisse bestehen nach wie vor zu Ungunsten der Nachwuchswissenschaftler*innen. Und solange solche Worte wie „Betreuung“, „Nachwuchs“ und „Doktorvater/mutter“ im Gebrauch sind, wird sich das nicht ändern. Und es gilt zu bedenken: Nur der kleinere Teil der Doktorand*innen ist an der Hochschule angestellt. Von den aktuell ca. 230.000 Doktorand*innen sind es keine 30.000, hinzukommen die Beschäftigten in Drittmittelverträgen, zig-tausende Stipendiat*innen und die außeruniversitär angestellten Doktorand*innen.

Aber: Wenn man dafür brennt, soll man promovieren! Und zwar gleichgültig, in welchem Fachgebiet. Und helfen, die Standards von innen heraus mit zu verschieben … Bessere Sichtbarkeit und somit Anerkennung des wissenschaftlichen „Nachwuchses“, zeitgemäße Stellenangebote, breiter aufgestellte und agile Karrierewege, qualifizierte und individuelle fachliche Begleitung.

Vielen Dank!

Die Fragen stellte Julia Zarna.

Claudia Dobrinski war von 2018 bis 2020 Bundesvorsitzende von Thesis e.V. Ihre Amtszeit endete am vergangenen Wochenende. Sie promoviert extern an der Universität Paderborn zu einer mittelalterlichen Klosteranlage. Sie arbeitete fünfzehn Jahre lang im Kontext archäologischer Ausgrabungstätigkeit und (Boden-) Denkmalpflege. Als Museumspädagogin beschäftigt sie sich mit den aktuellen Entwicklungen in „Lehre und Lernen“.

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